Wir leben heute in der Bundesrepublik Deutschland zweifelsohne in einer Phase großer Veränderungen und tiefer Umbrüche, die eine Neuorientierung in Gesellschaft und Politik und speziell auch in der Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme erfordern.


Kein Zweifel kann daran bestehen, dass es heute in der Sozialpolitik zu einem großen Problemstau gekommen ist, der von den politischen Akteuren nur mit großen Schwierigkeiten abzubauen ist und die Verantwortlichen vor große Probleme stellt, vor allem, was die Begründung, Durchsetzung und Akzeptanz sozialpolitischer Innovationen angeht. Der Sozialstaat ist ein ganz wesentlicher Teil unserer humanen Gesellschaft. Die Frage nach der Gestaltung des Sozialstaats der Zukunft muss deshalb integraler Bestandteil aller Bemühungen sein, einen Konsens über die „gute Gesellschaft“ zu erzielen.


Strukturreformen sind geboten in allen Gestaltungsbereichen des Sozialstaats der Bundesrepublik Deutschland. Grundlegend muss sich manches ändern, damit die sozialstaatliche Ordnung in ihren Fundamenten als integraler Bestandteil unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verfassung bewahrt werden kann.


Ohne Zweifel hätte sich die Politik zahlreiche Probleme ersparen können, wäre sie nicht über Jahrzehnte fast ausschließlich daran interessiert gewesen, kurzfristig, in Legislaturperioden, zu denken und bei der Machterhaltung und Machtgewinnung erfolgreich zu sein, sondern mehr an frühzeitigen Maßnahmen zur Vorsorge für die Zukunft. Viele Wandlungstendenzen und ihre Auswirkungen sind seit Jahren im wesentlichen bekannt, ohne dass die Politik rechtzeitig Vorkehrungen getroffen hat.


Heute wird man nicht umhin kommen, festzustellen, dass das gesamte politische System in Deutschland bezüglich grundlegender struktureller Reformen in der Vergangenheit weitgehend versagt hat, vor allem bei der Erneuerung des Sozialstaats, aber auch in vielen anderen Feldern wie Wirtschaft, Bildung, Forschung usf.. Es ist heute zu einem großen Problemstau gekommen, der vor dem Hintergrund gewachsener Einstellungen, Verhaltensweisen und institutioneller Regelungen von den politischen Akteuren nur mit großen Schwierigkeiten abzubauen ist, vor allem, was die Begründung, Durchsetzung und Akzeptanz sozialpolitischer Innovationen angeht. Es fällt insbesondere schwer, die Reformen als unabdingbare Veränderungen plausibel zu machen und bei der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, dass die Umgestaltung des Sozialstaats auch als Chance zu begreifen ist.


Im ersten Kapitel des Buches wird die Auffassung vertreten, dass Reformen in der Sozialpolitik umso besser gelingen können, je mehr ein aufgeklärter Diskurs in der öffentlichen Auseinandersetzung über Entwicklung und Handlungsnotwendigkeiten statt findet. Es geht hier um die rationale Erörterung wirklicher Lagen und Probleme, tragfähiger Lösungen und ihrer öffentlichen Akzeptanz. Die verschiedenen Bereiche unzulänglicher Diskussion werden systematisch dargestellt.


Es folgt dann die Entwicklung wichtiger Prinzipien und Leitbilder für eine nachhaltige Umgestaltung des Sozialstaats; eine solche Grundsatzreflexion ist notwendig für die politische Gestaltung und ihre öffentliche Legitimation.


Ausgehend von diesen Leitbildüberlegungen und hieraus gewonnenen Orientierungen können die gegenwärtige Reformpolitik kritisch betrachtet und Vorschläge für den grundlegenden Wandel sozialstaatlicher Ordnung gemacht werden. Die Programmatik für die konkrete Gestaltung bezieht sich insbesondere auf die Erneuerung der gesetzlichen Sozialversicherung.


Die beiden abschließenden Kapitel widmen sich der politologisch ausgerichteten Analyse der politischen Handlungsbedingungen zur Durchsetzung von Reformen. Im Zentrum steht hier die Frage, wie Strategien und institutionelle Rahmenbedingungen verbessert werden können, um Strukturreformen auf den Weg zu bringen, für den Abbau von Besitzständen Akzeptanz zu finden und Reformen zu begründen.

 

Autorenprofil

Dr. Detlef Grieswelle, Jahrgang 1942. Nach Promotion, Assistenzprofessur und geschäftsführender Direktion in einem Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitut wissenschaftliche Tätigkeit in sozialpolitischen Grundsatzabteilungen einer politischen Stiftung sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales; mit Pensionierung im Jahr 2007 freier Publizist; zahlreiche Bücher und Aufsätze.


Detlef Grieswelle

Sozialstaat am Scheideweg

Notwendigkeit struktureller Reformen

August 2006, ca. 350 Seiten, 28 Euro